Fear and Loathing in St. Louis

12.09.2017 – „… und dann manchmal haut die Realität der Hoffnung voll in die Fresse“ – aber dazu später mehr.

Es war schon später Nachmittag als wir uns St. Louis näherten und so beschlossen wir am Horseshoelake, welcher östlich der Stadt liegt zu campieren. Leider war der Bereich um den gesamten See mal wieder ab 10 Uhr abends geschlossen und so kochten wir nur ein leckeres Abendessen um dann anderen Ortes zu übernachten.

Nach einem für uns etwas ungewöhnlichen „charismatischen“ Gottesdienst (es war mal wieder ein Sonntag) fuhren wir in die Stadt und suchten uns einen Parkplatz. Hierbei fuhren wir durch so manch heruntergekommene Gegend und parkten am Ende das Auto sogar nochmals um, da wir beim Loslaufen einen kameraüberwachten Parkplatz für den am Fluss entlanglaufenden Rad- und Fußgängerweg entdeckten. Mit dem Auto sicher abgestellt liefen wir in die Stadt und schauten uns zum einen den berühmten Bogen „The Gateway Arch“ sowie das alte Gerichtshaus an. Im Besucherzentrum unter dem Bogen gab es einen sehr interessanten Film darüber, wie der Bogen über mehrere Jahre errichtet wurde. Er symbolisiert das „Tor zum Westen“ – da St. Louis, durch seine verkehrsgünstige Lage am Mississippi River lange Zeit die letzte große Stadt vor der „Frontier“ war – dem Übergangsbereich von Wildnis zu Zivilisation. Diese mussten alle durchqueren die im Westen siedeln wollten oder gar den Pazifik erreichen. Entsprechend rüstete man sich hier aus für eine mehrmonatige Reise durch die Wildnis und zog los, um Amerika zu besiedeln. Da die Stadt noch einiges zu bieten hatte, wie z.B. die Anheuser Busch Brauerei mit Führungen durch das Gelände und zudem ein gratis Science-Museum, entschieden wir uns schon gegen 16Uhr die Innenstadt zu verlassen und am nächsten Morgen weiter zu machen.

Unsere Pläne endeten jedoch jäh als wir zu unserem Auto zurückkamen und beim Öffnen der Beifahrertür uns die Reiserucksäcke, die gewöhnlicherweise hinter dem Fahrersitz liegen, entgegenkamen. Bei uns wurde eingebrochen! Diese Erkenntnis traf uns schmerzlich und unerwartet. Die Scheibe auf der Fahrerseite war eingeschlagen und lag verstreut auf dem Parkplatz und im Inneren der Fahrerkabine. Im Inneren waren die großen Schränke offen, aber auf den ersten Blick zumindest nichts kaputt (außer der Scheibe). Thomas war gerade dabei die Polizei zu rufen, als er einen Streifenwagen nur wenige Meter um die Ecke stehen sah und so ging er gleich zu diesem hin.

In unserem bisherigen Leben vor Reisebeginn hatten wir im Zusammenhang mit unserem Auto noch keinen Kontakt mit der Polizei gehabt. Auch wenn wir uns dessen nicht bewusst waren hatten wir jedoch durchaus eine Meinung darüber, wie sich die Polizei in einem solchen Fall verhalten sollte, denn dieser Polizist erfüllte sie nicht. Er brauchte 10min um aus seinem Auto auszusteigen schaute sich das Auto aus 5m Entfernung an und ging dann wieder um seinen Bericht zu schreiben. Es gab keine Spurenuntersuchung, keine Fingerabdrücke wurden von der eingebrochenen Tür genommen, erst recht keine Opferbetreuung. Dieses Auto ist unser Zuhause und die bisher unangetastete Sicherheit wurde durch eine kriminelle Gewalthandlung zerstört und der Polizist zuckt nur mit den Schultern? Im Nachhinein haben wir uns dazu gedacht, das ist wohl ein Normalzustand für die hiesige Bevölkerung und es herrscht eine Abstumpfung gegen diese Art von Verbrechen. Denn auch noch nach uns kamen Autos zum Parken auf den gut gefüllten Parkplatz, einige sprachen uns auch auf die Scheibe an – das hielt sie aber nicht davon ab trotzdem hier zu parken.

Und so standen wir ohne Hilfe und moralische Unterstützung fassungslos vor unserem Scherbenhaufen. Franzi fing an die Glassplitter aufzuheben und die Schränke wieder einzuräumen. Nachdem alles wieder an seinem Platz war konnten wir mit Sicherheit sagen, die Diebe hatten an unserem Auto einen größeren Schaden hinterlassen als ihre Beute wert war. Denn alles was sie mitgenommen haben war unser Akkubohrer – der hat 220V und Euro-Stecker – in den USA gibt es 110V und andere Stecker – wird also für die Diebe eher wertlos sein. Der REst war gut versteckt oder verschlossen. Die Sicherheitskamera die neben unserem Auto stand hat anscheinend nur dafür gesorgt, dass sie die Fahrerseite für den Einbruch genommen haben, für die Aufklärung scheint sie nichts zu bringen. Also lernen wir daraus: Sicherheitskameras können einen sch… und dienen nicht wirklich der Sicherheit, sondern sind eher Dekoraktion. Wie beruhigend!

Vom Polizisten hatten wir die Adresse eines Glasers bekommen der auch am Sonntag aufhaben sollte. Wir fuhren zu besagter Adresse in St. Louis, die Straßen wurden schmaler und die Häuser bröckelten mehr und mehr. Die Adresse war eine umzäunte Baracke in einem verlassenen Industriegebiet und wir beeilten uns aus dieser schlechten Gegend wieder heil heraus zu kommen. Thomas fand via Internet einen Glaser der tatsächlich noch arbeitete und rief diesen an. Aber es gab keine guten Nachrichten für uns, denn natürlich gab es kein passendes Ersatzteil in Amerika und er konnte auch keine Scheibe zurechtschneiden. Alles was er uns anbieten konnte war eine Folie gegen den Regen, aber diese bietet keinen Schutz vor weiteren Einbrüchen und wir wollten weiterhin im Auto übernachten. Alles was uns blieb war unser eigener Erfindungsgeist und so fuhren wir zum nächsten Baumarkt (Home Depot – hat nicht nur gutes WiFi, sondern auch gutes Baumaterial^^). Zum Glück hatte dieser noch bis 20 Uhr offen (es war Sonntag), wir maßen die Scheibe so gut es ging aus und wir kauften eine 5mm dicke Plexiglasscheibe. Der Verkäufer meinte, die kann man mit einem Cuttermesser trennen, woraufhin Franzi nur sehr ungläubig dreinschaute. Im Studium hatte sie aus Plexiglas Modelle gebaut und wusste wie schwer das ging. Wir bauten unsere kleine Werkstatt in Form einer Decke auf dem Parkplatz neben einer hellen Lampe auf. Wir probierten das Schneiden mit Cuttermesser aus, aber hatten wie schon vermutet keinen Erfolg damit. Die Lösung war unser guter Dremel mit dem wir wunderbar die Scheibe schneiden konnten bis dann die Autobatterie langsam leer wurde. In Filmen sieht man manchmal wie ein Stein aufs Gaspedal gelegt wird, bei uns war es ein kleiner Feuerlöscher der das Auto bei 1500 Drehung/min hielt, genau richtig um genügend Strom zum Arbeiten zu erzeugen. Zu Beginn hatten wir nur eine vage Vorstellung wie die Scheibe eigentlich aussehen müsste und daher tasteten wir uns eher vorsichtig an die Schneidarbeiten um nicht zu viel zu erwischen. Letzte Millimeter haben wir dann weggeschliffen bis die Scheibe endlich in die Tür passte. Das Ganze hat um die 4h gedauert und danach waren wir einfach nur froh, dass die Scheibe irgendwie in der Türe saß und hielt. Wir fuhren zum nächsten Walmart, kauften etwas kleines zu Essen und fielen danach totmüde ins Bett.

Am nächsten Morgen wurde uns klar, die Scheibe muss noch irgendwie unten befestigt werden, damit sie beim hoch und runter kurbeln nicht so wackelt. Aber dafür muss man die komplette Tür auseinandernehmen und dazu hatten wir keine Lust, das würden wir dann in Oklahoma machen (wo wir längere Zeit bei Thomas‘ Gastvater aus der Highschoolzeit stehen würden).

Der Anruf bei der Versicherung zeigte, dass wir durch die Selbstbeteiligung von 1000€ den Schaden selber zahlen müssen und wir daher voraussichtlich erst zurück in Deutschland eine neue Glasscheibe einbauen lassen werden – ein Einfliegen der Originalscheibe aus Deutschland oder Italien wäre zu teuer. Bis dahin muss das Plexiglas halten. Wie sagt man so schön „Nichts hält länger als ein Provisorium“. Und der Nächste der versucht unsere Scheibe einzuschlagen erlebt eine Überraschung, denn Plexiglas bricht nicht so leicht, sondern lässt den Schlag – oder den Stein von sich abprallen.

Aber naja, letztlich wurde recht wenig geklaut, die Scheibe konnten wir mit eigenen Mitteln improvisieren, sie haben nicht gleich das ganze Fahrzeug geklaut und wir selbst sind auch nicht zu Schaden gekommen. Also wollen wir mal nicht so sehr meckern, es hätte ja viel schlimmer kommen können.

Das Bauen der Scheibe war ein bisschen wie Therapie für uns und wir haben den Schock eigentlich ganz gut überstanden. Der Test auf dem Interstate hat gezeigt, die Scheibe hält auch bei unserer Maximalgeschwindigkeit von 80km/h. Daher entschieden wir uns, dass wir durchaus noch einen Zwischenstopp bis Oklahoma einlegen könnten. Durch eine Broschüre im Besucherzentrum wurden wir auf Springfield (Missouri) aufmerksam. Dieses kleine Städtchen hat eine sehr schön wieder hergerichtete Shoppingstraße, so wie man sie sich Anfang des 20 Jahrhunderts vorgestellt hat – viel los war allerdings nicht.

Update: 20.9.2017 – seit einigen Tagen gibt es gewalttätige Rassenunruhen in St. Louis, wir sind aber nicht mehr dort, also keine Sorge

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  1. JR Cornish sagt:

    That’s awful 🙁 At least you were able to cobble something workable together.. Safe travels – it’s brilliant reading about your trip!

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