Armenien – von Klöstern, Regen und Revolution

on

14.05.2018 – Wer hätte gedacht, dass man selbst um eine Autoversicherung handeln kann – wir sicher nicht, doch in Armenien scheint dies üblich: von anfänglichen 21.000 Dram (ca. 36€) konnten wir auf 5000 Dram herunterhandeln und das beim offiziellen Anbieter neben der Grenze. Dazu kam noch eine Gebühr für die Autoeinreise und wir kauften noch eine Sim-Karte fürs Handy – immerhin war die mit 2,70€ ziemlich günstig: aber so waren wir gleich ab der Grenze bestens versorgt.

Armenien betreten wir zum Zeitpunkt einer Revolution. Der Ministerpräsident ist nach anhaltenden Protesten zurückgetreten und der Revolutionsführer Nikolai Patschinjan möchte, dass ihn das Parlament zum Chef des Landes macht. Es geht um ein tief korruptes, durch Oligarchen und Vetternwirtschaft gelähmtes System – ähnlich wie es auch in Georgien vor der dortigen Revolution war. Das Volk hatte es satt und stand, scheinbar geschlossen, hinter ihrem Anführer „Nikol“. Sie hatten dies in der vergangenen Woche durch einen Generalstreik bewiesen, in dem einfach alle Menschen anstatt auf Arbeit zu gehen, sich auf der Straße versammelten, Autos quer parkten und gemütlich feierten („ziviler Ungehorsam“ nennt man sowas). Nichts ging mehr im Land – das ließ die Regierung einsehen, dass es Zeit war abzudanken. Russland, an das Armenien nachwievor recht eng gebunden ist, ließ den Dingen ihren Lauf und griff nicht ein. Auch zu unserem Glück, denn so blieb die Revolution friedlich und wir konnten das Land ohne Probleme auch während der Revolution befahren.

Nach der Grenze gab es zwei mögliche Wege: der Erste führte ins Landesinnere, vorbei an jeder Menge alter sehenswerter Klöster. Der Zweite ging entlang der Armenisch-Aserbaidschanischen Grenze – keine Sehenswürdigkeiten und vor allem durch das angespannte Verhältnis der beiden Länder fraglich. Unser Start im Land verlief dementsprechend schlecht, da die sichere und sehenswerte Route auf unbekannte Zeit gesperrt war und wir den grenznahen Weg nehmen mussten. Hinzu kam ein kräftiger Regen der die bergige Straße mit braunen Sturzbächen überzog (Drainage ist hier unbekannt) – wir waren bedient und suchten uns bald einen Platz zum Übernachten.

Wir fuhren in das Dorf Acharkut von dem aus ein schmaler Offroad-Pfad in das umgebende Waldgebiet führte in welchem ein verlassenes Kloster stand. Da wir nicht den direkten Weg fanden parkten wir am Wegesrand und liefen nach den GPS-Koordinaten direkt darauf zu. Zunächst fanden wir eine kleine, halb eingefallene Kapelle und waren uns unsicher, ob es das jetzt schon gewesen war. Doch laut GPS ging es noch weiter und tatsächlich tauchten vor uns bald die wehrhaften Mauern des Klosters auf. Neben Teilen der Mauer stand noch die kleine Kirche und ein besonders schön bearbeiteter Kreuzstein.

Das Wetter ist weiterhin trüb und regnerisch als wir zum See Sevan gelangen: auf einem kleinen Hügel liegen hier malerisch zwei kleine Kirchen (eigentlich drei, aber von der einen stehen nur noch die Grundmauern). Die Kirchen sind aus glatten Steinquadern aufgebaut und auch die Dächer sind aus Stein. Sie haben fast keine Fenster und so kommt es, dass es im Inneren eher düster wirkt. Im Gegensatz zu den bunt bemalten Kirchen Georgiens wirken diese Kirchen mit den kahlen Wänden sehr schlicht, nur wenige Ikonenbilder stehen im Inneren.

Tanken gestaltete sich schwieriger als gedacht, da vor allem die privaten PKWs mit Gas fahren und es viele reine Gastankstellen gibt. Auf dem Weg zur Hauptstadt Jerevan sahen die wenigen Dieseltankstellen so dubios aus, dass wir doch lieber verzichteten dort zu tanken. In Jerevan selbst sahen die Tankstellen wieder ordentlich aus, akzeptierten aber keine Kreditkarte und wir hatten noch kein Bargeld – nach gefühlten 10 Versuchen fanden wir schließlich eine Tankstelle bei der es klappte.

Dieser Tag markiert auch gleichzeitig das erfolgreiche Ende der Revolution – in der Stadt ist viel Stau, Menschen fahren hupend durch die Gegend, Fahnen werden geschwenkt. „Nikol“ wurde vom Parlament zum Premierminister gewählt, die Demonstranten haben ihr Ziel erreicht. Nun liegt vor Patschinjan eine schwierige Aufgabe, denn das Land ist im regionalen Vergleich sehr arm, hat wenig Wirtschaft und verbaut sich durch den Kriegszustand mit Aserbaidschan (Streit um die von Armenien besetzte Region „Berg-Karabach“) und die Feindschaft zur Türkei (Nicht-Anerkennung des türkischen Massakers von 1915) wichtige Wirtschaftspartner. Man kann nur hoffen, dass Nikol der Anführer ist, den das Volk braucht und dass er die schwierige Aufgabe meistern kann die Wirtschaft anzukurbeln. Denn ohne sichtbaren Erfolg wird das Volk an der Wirksamkeit von politischem Wandel zweifeln und damit den Weg für den nächsten autokratischen Herrscher ebnen.

Das Turkmenistanvisum war zunächst die oberste Priorität des Stadtbesuches und bereitete uns auch hier allerlei Probleme. Der auf der Internetseite angezeigte Botschaftsort auf dem Kartenausschnitt stimmte nicht – die Botschaft war kürzlich in ein Neubaugebiet umgezogen. In dem Neubaugebiet gab es gefühlt nur einen Straßennamen für mindestens 5 Straßen und die Hausnummern wurden so vergeben, wie auch die Grundstücke verkauft wurden – wirr durcheinander. Nach langem Suchen hatten wir es geschafft, aber der Pförtner teilte uns mit: der Konsul sei erst am nächsten Tag wieder da (obwohl wir natürlich zu den offiziellen Öffnungszeiten da waren).

Am nächsten Tag wurden wir ohne Wartezeit direkt in das kleine Büro des Konsuls vorgelassen nur um zu erfahren: Visas könne er nicht ausstellen, das ginge nur in Ländern die an Turkmenistan angrenzten – was für ein großer Mist! Zudem vermutlich frei erfunden, da wir ja wussten dass man in Ankara in der Türkei das Visum beantragen kann (was sicherlich keine Grenze zu Turkmenistan hat). Also ist es weiterhin ungewiss wie es nach dem Iran überhaupt weitergeht – nächster und letzter Versuch folgt in Teheran.

Wir begannen einen Stadtspaziergang und konnten junge Menschen dabei beobachten, wie sie den Platz der Republik – der Tags zuvor als Ort der Feierlichkeiten für die Revolution diente – ordentlich wieder säuberten: eine schöne Art zu zeigen, dass die Revolution sich um ihr Land kümmert. Wir bummelten weiter durch die Stadt und kommen an einer persischen Moschee vorbei. Um einen großen Garten ziehen sich mit bunten Fliesen dekorierte Gebets- und Lehrräume. Auf dem großen Opernplatz tummeln sich Jung und Alt und viele Menschen genießen in den umgebenden Cafes das schöne Wetter. Uns zieht es jedoch mal wieder zu westlichem Essen und wir kehren seit langem für einen kleinen Snack bei Burger King ein.

Etwas abseits der Innenstadt auf einem Hügel liegt das Genoziddenkmal mit Museum. Leider hatte das Museum schon zu, aber uns erstaunte, wie viele Menschen (auch in unserem Alter) am Denkmal noch Blumen ablegten, bedenkt man dass das Ereignis schon über 100 Jahre her ist.

Östlich von Jerewan liegt der viel gelobte Campingplatz „3GS“ und auch wir wollten uns diesen nicht entgehen lassen. Wie eine Oase in der Wüste wirkte dieser nach höchstem europäischen Standard erbaute Campingplatz von einem niederländischen Ehepaar auf uns. Wie sehr man schön geflieste Bäder, Toilettenschüsseln und überhaupt Ordentlichkeit vermissen kann wurde uns bewusst, als wir hier so unvermittelt auf diese trafen. Den Abend verbrachten wir in einer höchst internationalen Zusammensetzung (Iran, Brüssel, Thailand, Niederlande) in der gemütlichen Essküche und sprachen über die Revolution in Armenien, den Iran und vieles mehr.

Unweit des Campingplatzes in den Bergen liegt das Geghard Kloster, welches sich am Besucherstrom gemessen großer Beliebtheit erfreut. Äußerlich nicht besonders bot die Klosteranlage in ihren teils aus Stein gehauenen dunklen Kirchen einen besonderen Anblick. Die älteren Teile stammen jedoch noch aus einem Vorchristlichem Kult, welcher die Quelle vor Ort anbetete und wurde später zur Kirche umfunktioniert.

Das Wetter schlug wieder um und wir retteten uns vor dem Regen ins Auto. Die nächste Sehenswürdigkeit ist nicht weit entfernt unterhalb des Dorfes Garni. Entlang einer Schlucht kann man sehen wie sich das Basaltgestein bandartig windet, die Bruchkanten sind alle geometrisch und man mag kaum glauben, dass sie der Natur entsprungen sind.

Das Kloster Khor Virap liegt nahe der Grenze zur Türkei und bei schönem Wetter kann man den gewaltigen Ararat Berg von hier aus bestaunen: doch wie so oft spielte das Wetter bei uns nicht mit und wir sahen auf eine graue Wolkenwand. Vermutlich profitiert die Anlage normalerweise von ihrer Umgebung, denn an sich war sie nicht sonderlich sehenswert. In der düsteren Hauptkirche gab es nur modern-geschmacklose Heiligenbilder. Die Nebenkirche bedurfte nicht mehr als eines Blickes, wären da nicht plötzlich die Besucher in einer Ecke verschwunden: hier führte eine Leiter ca. 8m hinunter in den Boden. Am Ende fand man sich in einem runden, sehr hohen Raum wieder: hier gab es aber nur ein Bild und Sinn und Zweck dieses Raumes blieben uns verborgen. Auch in der gegenüberliegenden Ecke der Kirche gab es einen Abgang, dieser war jedoch verwinkelt und führte nur in einen kleinen rechteckigen Raum ohne ersichtliche Funktion.
Unsere Übernachtung in der Nähe des Klosters rief die örtliche Polizei auf den Plan. Mit einem alten Lada kamen sie, um uns wegzuholen, da wir nur einen Kilometer von der Grenze zum scheinbar bösen Nachbarn Türkei standen. Der uns dann zugewiesene Parkplatz war ganze 1,2km von der Grenze entfernt – hier war es dann wohl sicher. Ruhig war es jedenfalls nicht, da in der Nacht um 2 Uhr ein angetrunkener Vater mit seinen kleinen Kindern erschien, sein Auto direkt neben uns parkte (der komplette Parkplatz war leer) und seine Musikanlage im Auto auf volle Lautstärke aufdrehte. Nach einem kurzen Gespräch mit ihm, machte er die Musik wieder aus und wir konnten weiterschlafen.

Neben den schon bekannten Schlaglöchern überraschte uns die Armenische Hauptverbindungsroute Richtung Iran mit einer neuen Gefahr: Bodenwellen – bei 60km/h hoben wir gefühlt für kurze Zeit einmal mit allen Rädern vom Boden ab und landeten mit lautem Scheppern. Danach fuhren wir deutlich vorsichtiger, wobei es bergauf dann eh nur noch mit 30km/h voranging.

Die Straße führt teils direkt an der aserbaidschanischen Exklave „Nachitschewan“ vorbei, neben hohen Erdwällen in denen ab und an ein Bunker steht sahen wir alte Militärtrucks umherfahren. Verrückter jedoch war, dass wir ohne es zu wissen direkt durch eine Exklave durchgefahren sind. Das offiziell zu Aserbaidschan gehörende Dorf Kerki ist dauerhaft durch die Armenier besetzt und die normale Straße führt hindurch ohne etwaige Hinweisschilder.

Abseits der Hauptstraße führt eine kleine Straße durch ein steiles Bergtal: an dessen Ende thront auf einem Hügel märchenhaft das Kloster Noravank. Die Hauptkirche ist zweigeteilt: folgt man ein paar Stufen hinab kommt man in einen gruftähnlichen Raum welcher mit den wenigen Gebetskerzen kaum erleuchtet wird. Zum zweiten Teil der Kirche gelangt man über eine schmale Treppe die sich an der Frontfassade emporwindet und zu einem hellen luftigen Anbetungsraum führt. Warum die Kirche in diese Räume geteilt ist hat sich uns leider nicht erschlossen. In der Nebenkirche schafften wir es kaum uns zu bewegen, ohne dabei über eine der Grabplatten im Boden zu stolpern. Bevor wir weiter das Gelände und die Umgebung erkunden können fängt es wieder an aus Eimern zu regnen und auch diese Besichtigung endete vorzeitig zurück im Auto. Direkt neben unserem Auto parkte eine Familie aus Frankfurt mit ihrem T4-Bus – sie kamen gerade aus dem Iran zurück und berichteten uns nur Gutes über das Land, das macht Hoffnung.

Gebeutelt durch unsere bisherigen Erfahrungen auf armenischen Straßen entschieden wir uns an der letzten Abzweigung für die kurvigere, aber weniger befahrene Strecke zur Grenze und die Rechnung ging auf: der Asphalt ist in deutlich besserem Zustand. Die wohl malerische Bergwelt verschwimmt jedoch vor unseren Blicken durch die Ströme an Regen auf der Windschutzscheibe. Über die Straßen fließen halbe Flüsse die allerhand Geröll mit sich führen und bei so einer Gelegenheit haben wir uns wohl auch eine neue Reifenpanne zugezogen. Das bekamen wir jedoch viel zu spät mit, als die komplette Luft schon raus war und die Felge förmlich auf dem Asphalt schliff: 3 Länder und 3 Reifenpannen – auch bei uns war die Luft raus. Den Reifen mussten wir in einer schrägen Bergkurve im Regen wechseln und wir wünschten uns dabei nur endlich diesem nassen Land entfliehen zu können.

Der nächste Morgen beginnt vielversprechend: im Sonnenschein können wir schon den Iran in Form der nächsten Bergkette erblicken, doch zunächst wollen wir lieber noch unseren Reifen flicken. In der Grenzstadt Meghri finden wir schnell einen passenden Mechaniker und er hat gute Neuigkeiten: der Mantel ist trotz Panne unversehrt geblieben – dafür ist der Innenschlauch nicht mehr zu retten. Einen passenden Schlauch gibt es leider nicht und man versucht es mit einem eigentlich zu kleinen Schlauch – das scheint zu funktionieren, wir können den Reifen nur nicht mehr aufpumpen ohne diesen abzumontieren, weil er eben eigentlich nicht für so große Felgen gedacht ist.

Die Armenisch-Iranische Grenze verläuft durch ein schmales Bergtal und wird durch einen braun-wogenden Fluss markiert. Auf armenischer Seite zieht sich ein hoher Stracheldrahtzaun entlang, knallgrüne Wachhäuschen geben der sonst trist in Brauntönen gehaltenen Umgebung merkwürdige Farbtupfer. Bevor wir das Land verlassen kippen wir das letzte Geld noch schnell in den Tank, wer weiß wie es auf der anderen Seite wird?

Nach drei Kontrollen ist es so weit, mit bangem Herzen fahren wir langsam die letzten armenischen Meter, ein letzter Stopp an der Grenzbrücke und dann rollen wir der Ungewissheit entgegen.

Kommentar verfassen