Special: Free Faith Lifts Every Sunday – christliche Gemeinden auf unserer Reise

Den Spruch aus dem Titel – „Free Faith Lifts Every Sunday“ – habe ich (Thomas) mir nicht selbst ausgedacht – der stand tatsächlich so an einer Kirche dran. Da hatte wohl der Werbetexter Spaß^^

Amerika ist christlich – mindestens im Vergleich zum Durchschnitt Deutschlands – und Religion spielt auch in der Politik der USA eine sehr viel größere Rolle als bei uns (Abtreibung, Ehe, Entstehung der Welt, …). Kirchen findet man hier wie Sand am Meer und, stark der religiös-geprägten Einwanderungsgeschichte geschuldet, eine sehr große Diversität: von Katholiken bis Mega-Church, von Mennoniten bis Charismatikern, von Mormonen, Wesleyans, Presbyterianern und Co. – alles ist möglich. Von vielen christlichen Strömungen die man hier trifft, hat man in Europa noch nie gehört.

Jeder Christ hat wohl so seine eigene Vorstellung, vielleicht auch der Familientradition geschuldet, wie der Gottesdienst sein soll. Hier in Amerika konnten wir mal das große Spektrum austesten und ganz viele verschiedene Gottesdienste besuchen – und von diesen Besuchen, jeden Sonntag, möchte ich euch im Folgenden berichten. Ich versuche nicht zu werten – über Kirchengeschmäcker lässt sich mindestens so gut streiten wie über Mode – einfach nur berichten und vielleicht einen kleinen Einblick in die Religionskultur des Landes geben und zeigen auf was für unterschiedliche Art und Weise man doch ein und dieselbe Religion praktizieren kann.

Intersection Church Gettysburg (ganz grob zwischen Washington DC und Philadelphia):
Diese Kirche war die Erste auf unserer Reise und es war schon etwas ungewohnt einfach so in eine unbekannte Kirche hineinzuspazieren. Der einstöckige Bau hätte sicherlich auch eine Industrieproduktionshalle sein können. Innen gab es einen mit Stühlen gefüllten Gottesdienstraum, der nur einen kleinen Teil des Gebäudes einnahm. Es spielte eine kleine Band moderne, uns bekannte Worshiplieder. Die Kirche versuchte mit einfacheren Mitteln und wahrscheinlich geringerem Budget einen modernen, jungen Gottesdienst zu gestalten. Es war nicht alles so technisch ausgereift wie man es von großen Kirchen kennt, dennoch schön und einladend/missionarisch. Ob man weiter Interesse an der Kirche hat konnte man per kleinem Kärtchen andeuten (vermutlich wird man dann angeschrieben und persönlich der Kontakt hergestellt) – das fand ich eigentlich eine gute Idee. Die Kollekte (engl.: offering) konnte man neben Bar auch per App oder per SMS spenden – das nenn ich mal modern. Oh und es gab einen Merchandise-Stand direkt im Raum.

Church of the Nazarene Quincy (südlich von Boston)
Von dieser Denomination hatte ich vorher tatsächlich noch nie etwas gehört. Die Kirche betrieb ein College (in dem man aber alles Mögliche studieren kann, nicht nur Theologie) und wir waren sozusagen in der Hauskirche dieses College. Das Gebäude war im typischen Stil alter, amerikanischer Kirchen gebaut, mit so einem Mini-Türmchen oben drauf. Der Gottesdienst war nach Stil geteilt, ähnlich wie es auch bei manchen älteren deutschen Kirchen der Fall ist. Der „Early Service“ ist ein traditioneller Gottesdienst mit traditioneller Liturgie, Orgel und alten Texten. Publikum: eher die alte Rige. Der zweite Gottesdienst im Anschluss startet dann wenn die jüngeren Kirchgänger ausgeschlafen haben und wartet mit modernen Liedern und etwas freierer Liturgie auf. Wir waren zum späten, modernen Gottesdienst – allerdings hat man an diesem einen Tag mal trotzdem die alten Lieder gesungen (aber auf Gitarre begleitet).
Die Predigt ging über das aufregende letzte Super Bowl Spiel, bei dem die New England Patriots (die lokale Mannschaft) in einer unglaublichen Aufholjagd das schon verloren geglaubte Spiel noch für sich entscheiden konnten. Als Patriots-Fan natürlich eine super Predigt für mich. Der Gottesdienst war sehr familiär, man kannte sich und die Namen einzelner Familien kamen in der Predigt vor. Locker und mitreißend, aber nicht ins charismatische gehend.
Irgendjemand hatte zu viele Blaubeeren und so gab es im Anschluss für die gesamte Gemeinde Vanilleeis mit Blaubeeren (gratis Eis – yeah!). Im Gespräch mit dem Pfarrer erfuhren wir, dass es wohl auch ein paar Nazarene-Kirchen in Deutschland geben soll (seine Tochter hat einen solchen Pfarrer geheiratet) und dass die Nazarene zusammen mit einigen anderen Pfingstbewegungen aus der „Wesleyan“ Tradition entstanden sind.

 

Perish Our Lady of the Annunciation Gatineau (bei Ottawa)
Obwohl sie von außen überhaupt nicht so aussieht war dies die erste katholische Kirche unserer Reise. Im französischen Teil Kanadas ist der Katholizismus die vorherrschende Denomination, in den USA ist er vorhanden, aber durch die Menge der Reform-Kirchen und Pfingstgemeinden die aus religiöser Verfolgung in die USA flohen, deutlich weniger als in Europa. Erst mit der Einwanderung der Iren kam die katholische Kirche in die USA.
Das Gebäude war ein städtisches Gemeindezentrum (daher eher wenig katholisch aussehend) und der Gottesdienstraum konnte schnell in einen Bürgersaal umgebaut werden. Der Gottesdienst war sehr zeremoniell geführt (mit Abendmahl), eine kurze Predigt und es gab erstaunlicher weise  keinerlei Lieder die gesungen wurden. Obwohl die Gemeinde in einer größeren Stadt war, war der Pfarrer in Eile denn er betreute gleich drei kleinere Gemeinden wie diese und musste fix zum nächsten Gottesdienst. Entsprechend war auch diese Gemeinde sehr klein, wir vielen sehr auf (aber es gab noch genug Platz für uns). Wir waren im Übrigen froh überhaupt eine Gemeinde im französisch-sprachigen Quebec gefunden zu haben deren Gottesdienst auf Englisch war – die vorherige Woche konnten wir schon nicht zum Gottesdienst, da alles nur auf Französisch war.

 

South Point Community Church (Point Pelee – südlichster Punkt Kanadas)
Eine Community Church ist so bisschen eine „unparteiische“ Kirche, die versucht alle Strömungen unter einen Hut zu bringen und trotzdem für alle eine gute Message zu geben. Ganz ursprünglich sei diese Kirche hier der „Mennonite Brotherhood“ zuzuordnen (das sind die Mennoniten die sich nicht so strengen Kleidungs- und Technologievorschriften unterwerfen), aber das spiele heute kaum noch eine Rolle. „Jesus died for your sins“ – das sei das Wichtigste, alles Andere wäre Nebensache. Witzig war, dass an diesem Sonntag die Band der im gleichen Gebäude am Abend stattfindenden „Spanisch-Church“ ein Gastspiel machte (aber mit englischsprachigen Liedern) und die Lieder auf Klavier und Bongotrommel begleitet wurden.

 

Calvary Family Church Collinsville (bei St. Louis / Missouri)
Diese kleine, aber sehr lautstarke Gemeinde war die erste auf der Reise, die man als „christlich-charismatisch“ bezeichnen würde. Ganz im Gegensatz zum liturgisch-choreografierten Ablauf einer katholischen oder evangelischen Landeskirche in Deutschland, ruft man hier auch gern mal „Amen!“, „Preach it pastor!“ oder „Now that’s right“ dazwischen. Der Prediger steigert sich (hier mit etwas zu laut aufgedrehtem Mikrofon, uns fallen bald die Ohren ab) in seine Predigt hinein, voller Emotionen und unter den jubelnden Rufen der Gläubigen. Die Predigt ist sehr lang, sehr repetitiv/einprägsam und sehr auffordernd. Als er meint dass er nur noch 7 Minuten zum Predigen hat, ruft eine Frau laut „Take your time pastor!“.
Zum Abschluss kommen alle nach vorne und es beginnt eine chaotisch wirkende und von Gitarrenmusik + Gesang unterlegte Zelebrierung der Geistesgaben: ein Frau ruft wirre Dinge aus (ich vermute mal Zungenrede, die allerdings nicht ausgelegt wird) und der Pfarrer spricht sehr aggressiv Segen und Heilung zu, manche Gläubige zappeln dabei am ganzen Körper, eine Frau fällt um, u.s.w. – das Ganze scheint sehr lange zu gehen und ein offenes Ende zu haben, manche Leute verlassen schon die Kirche, Kinder (die zuvor mit dabei waren) gehen Basketball spielen (was aber nicht geht weil unser Womo direkt unter dem Basketballkorb parkt^^) und auch wir verlassen dann den Gottesdienst. Ein Erlebnis!

 

First Baptist Church (Bartlesville)
Während unserer Zeit bei John sind wir in die First Baptist Church gegangen. Die Baptistische Kirche ist, wenn ich mich recht entsinne, die größte Konfession in den USA. Entsprechend gibt es meist viele solche Kirchen in einer Stadt und die größte, am besten ausgestattete (u.a. mit eigenem Sportcenter) das ist eben die „First“ Baptist Church. Auch hier gibt es einen liturgischen Gottesdienst am Morgen mit älterem Publikum und um 11 Uhr einen moderneren Gottesdienst. Das Gebäude könnte von außen auch ein Bürokomplex sein, von innen eine klassisch aussehende Kirche mit sowohl Orgel (für den Frühgottesdienst) als auch dicken Beamern, Schlagzeug und Band für den Späteren.

 

Life.Church (Edmond, bei Oklahoma City)
Das ist nun die erste Mega-Church. Die Mega-Church-Bewegung stammt aus den USA und wie der Name schon sagt versucht man eine riesige Gemeinde zu haben. Unsere eigene Gemeinde, das „G5  – Meine Kirche“ in Eimeldingen könnte in die Richtung gehen, entsprechend gespannt waren wir, wie man eine Mega-Church in den USA macht. Und wir wurden überrascht – in mehrer Hinsicht. Das Gebäude umfasste neben dem Gottesdiensthaus noch einen sehr großen Bereich für den Kindergottesdienst, eine Schule und ein Tonstudio(!). Da der Gottesdienstraum (trotz geschätzt 700 Plätzen) zu klein war, gab es ganze sechs Gottesdienste (1x Samstag abend und 5x am Sonntag) – also wannauchimmer dir Gott gerade in deinen Terminplan passt: du wirst einen Gottesdienst finden. Es ging erstmal los mit einem weltlichen Lied („Rumour Has It“ – keine Ahnung warum gerade das^^ *), ein paar Worten des lokalen Pastors, u.a. zur neuen Kirchenapp und noch ein paar modernen Worshipliedern von einer Band. Dazu eine Bühnen- und Lichtshow die selbst das schon technisch gut ausgestattet G5 noch übertrifft. Die eigentliche Predigt wird dann zu unserer Überraschung per Video zugeschalten. Die Gemeinde hat an mehreren Standorten in der USA ihre Ableger, in einer der Gemeinden macht der „Senior Pastor“ seine Predigt und das Ganze wird Live in die anderen Gemeinden übertragen. Alle Materialien, Beamerfolien, Bühnenbilder, Flyer, App und Co. waren sehr durchgestylt und grafisch toll gemacht – sicherlich recht effektiv wenn man viele Gemeinden hat die parallel die gleichen Themen behandeln und die Materialien verwenden können. Am Ende noch ein Wort wieder vom lokalen Pfarrer über lokale Aktionen und dann war es schon vorbei. Interessantes Konzept.
*Anmerkung: irgendwann fiel mir auf dass dieses Lied wohl gespielt wurde weil es in der Predigt später um „My Big Fat Mouth“ ging, also darum wie man mit Worten viel Schaden anrichten kann.

 

Church of Christ Aztec (bei Farmington, New Mexico)
Ich schaute immer etwas verwundert wenn wir an diversen Kirchen mit für mich recht aussagelosen Namen vorbeikamen, wie z.B. „Church of Christ“, „Church of God“, „Jesus Church“ – Was genau ist denn eine Church of Christ? Sind andere Kirchen etwa ohne Christus? Na auf jeden Fall war es jetzt soweit: wir suchen ja immer die nächstgelegendste Kirche und damit wir wissen wann der Gottesdienst ist, muss die Kirche eine Internetseite haben die uns sagt wann es losgeht. Die Stadt Aztec hatte mehrere Kirchen, aber die Church of Christ war die einzige die eine Homepage hatte. Also ging es da hin und wir erlebten wieder einmal neue Besonderheiten, die wir so noch nicht gesehen hatten. Erstmal bestand der Lobpreis aus eher traditionellen Liedern, diese wurden aber nicht durch eine Orgel oder sonstige Instrumente begleitet, sondern nur a-capella gesungen. Dazu stellte sich ein Worship-Leiter vorne hin und fing einfach an zu singen. So ging übrigens auch der Gottesdienst los – alle waren noch fleißig am Quatschen, da geht der Pfarrer einfach vor und fängt alleine an zu singen und nach einer Minute ungefähr sind alle ruhig und singen auch mit. Faszinierend. Auf Nachfrage später erklärte man uns, dass es bei der „Church of Christ“ irgendwie Tradition sei keine Instrumente zu verwenden – man könnte schon, ist ja nur Tradition, aber man macht es halt nicht.
Der Pfarrer war übrigens auch toll – er erinnerte mich ungemein stark (positiv) an einen guten Freund und Arbeitskollegen – toller Mann (sowohl der Pfarrer als auch der Freund). Er brachte immer wieder witzige Vergleiche zur Populärkultur (diverse Fernsehshows, StarWars-Filme, …), musste immer über sich selbst lachen, obwohl fast alle Gemeindemitglieder sehr alt waren und die Filme gar nicht kannten und entsprechend auch nicht über seine Witze lachten. Ihm egal, er freute sich und war gut drauf. Seine Predigt (es war Oktober und da versinkt die USA im Halloween-Fieber) ging ernsthaft um „Gruselgeschichten aus der Bibel“. Natürlich mit sinnvoller Message – aber das war mal durchaus ein ausgefallenes Thema.
Zweite Besonderheit die mir auffiel war, dass öffentlich Gebetsanliegen gesammelt wurden und für diese öffentlich gebetet wurde (auch für uns wurde gebetet). Oh und noch eine Dritte: es gab jeden Sonntag Abendmahl, das Abendmahl nahm man am Platz ein (geht wahrscheinlich schneller) und die ganze Prozedur inkl. kleiner Andacht wurde nicht vom Pfarrer, sondern von einer Gruppe Gemeindemitglieder durchgeführt.
Wir wurden sehr herzlich in dieser Gemeinde aufgenommen, am Ende hat man uns noch einen Kaffeebecher mit dem Kirchenlogo drauf geschenkt und uns erklärt dass die „Church of Christ“ wie ein bisschen ein loser Bund von Kirchen sei, die keiner Denomination angehören und dass die Pastoren recht frei in der Bibelauslegung waren.

 

Presbyterian Church Kingman (Arizona, auf dem Weg nach Las Vegas)
Zu den Presbyterianern wollte ich immer schonmal, da es die in Deutschland (soweit ich weiß) nicht gibt – sie gehören grob zu den Pfingstgemeinden, Details konnte ich aber leider nicht in Erfahrung bringen. Es gab mal wieder einen traditionellen und einen modernen („contemporary“) Service – wobei wir uns mehrfach versichern mussten – tatsächlich war der moderne Service eher als der traditionelle. Das ist ungewöhnlich, da in einen modernen Gottesdienst doch eher die Jungen kommen und die wollen doch Sonntags ausschlafen. Lösung des Rätsels war: auch der moderne Gottesdienst bestand zu 100% aus Rentnern. Modern daran war scheinbar, dass etwas neuere Lieder (aber natürlich keine modernen Lobpreislieder a la Hillsong) gespielt und diese auf Gitarre und Flöte begleitet wurden. Der Rest des Gottesdienstes war an sich normal, aber auch hier wurden öffentlich die Gebetsanliegen gesammelt und dafür gebetet, was sehr familiär rüberkam. Anschließend gab es Kuchen und Punch und einige Gespräche mit den Kirchenmitgliedern – es stellte sich heraus, dass aufgrund der anstehenden „500 Jahre“ Reformation ein Feiergottesdienst stattfinden sollte in dem sich alle ankleiden wie zu Martin Luthers Zeiten. Schade dass wir da nicht dabei sein konnten.

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